Die aktuelle Situation
Im Jahr 2019 wurde das Bafög-Gesetz zur Rückzahlung des Bafög-Darlehens erneuert (26. BAföGÄndG).
Dabei wurden nennenswerte Erleichterungen für ehemalige Bafög-Bezieher*innen bei der Rückzahlung des Darlehens geschaffen. Von diesen Erleichterungen wurden jedoch Studierende ausgeschlossen, die vor September 2019 erstmals BAföG beantragt haben ("Altschuldner*innen").
Wir fordern die gleichberechtigte Anwendung der Neuregelung auf alle Studierenden.
Die alte Regelung
In der alten Regelung zur Darlehensrückzahlung konnte man sich bis zu 30 Jahre lang von der Rückzahlung freistellen lassen, wenn man ein geringes Einkommen hatte. Danach verfielen die Schulden jedoch nicht, sondern wurden zu einem „Schuldner*innen-Verhältnis“ nach Bundeshaushaltsordnung. Ein Härtefallantrag zum Schuldenerlass war rechtlich möglich, aber de facto ausgeschlossen: So wurde zwischen 1996 und 2015 kein einziger solcher Härtefallantrag vom Bundesverwaltungsamt gewährt (siehe Kleine Anfrage). Grundsätzlich blieben die Schulden also bis zum Tod (und waren darüber hinaus vererbbar).
Eine Verbesserung - für manche
Mit der Neuerung durch die BAföG-Novelle 2019 kann man sich nun 20 Jahre lang von der Rückzahlung freistellen lassen oder aber Raten von mindestens 42€ pro Monat zurückzahlen. Nach 20 Jahren werden die Schulden erlassen, wenn man stets allen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist (Kooperationserlass) oder nur geringfügig gegen die Mitwirkungspflichten verstoßen hat, z.B. bei einer einmaligen Adressermittlung (Härtefallerlass). Außerdem fallen die Schulden ggf. auch schon früher weg, sobald man 77 Raten ordnungsgemäß gezahlt hat (77-Raten-Regelung). Diese werden nach der Höhe des Einkommens berechnet, d.h. bei einem niedrigen Einkommen wird die Restschuld auch schon nach 77 niedrigen Raten erlassen, selbst wenn man den Gesamtbetrag noch nicht abbezahlt hat.
Zahlt man beispielsweise bei einem Einkommen von 1.342€ (?) die kleinste mögliche Rate von 42€, dann hat man trotzdem bereits nach 77 Raten (also 3.234 €) seine Schulden abbezahlt - auch wenn der Gesamtbetrag eigentlich 10.000 € betrug.
Die neue Regelung ist also (ehemaligen) Studierenden gegenüber deutlich freundlicher, insbesondere bei einem niedrigen Einkommen.
Der Antrag, von dem niemand wusste
Altschuldner*innen sollen weiterhin unter die alte Regelung fallen, wurde in der BAföG-Novelle festgehalten. Mit einer Ausnahme: Man hätte bis März 2020 beantragen können, dass die Möglichkeit des Schuldenerlasses nach 20 Jahren (Kooperationserlass) auf den eigenen Fall angewendet wird (nicht aber die 77-Raten-Regelung!).
Von diesem Wahlrecht wusste jedoch fast niemand! In ganz Deutschland haben nur 9.905 (ehemalige) Studierende einen Antrag gestellt (siehe Anfrage bei FragDenStaat). Selbst Beratungsstellen wurden teilweise erst kurz vor Fristende über die Regelung informiert. Selbst bei rechtzeitiger Kenntnis hätten aber auch die Beratungsstellen niemals alle Betroffenen erreichen können - die meisten von ihnen sind schließlich gar keine Studierenden mehr.
Kritik (kurz fassen)
Unterschiedliche Voraussetzungen in verschiedenen Berufsfeldern
Die Altregelung belohnt vermögende Familien
Bildung als Grundrecht
Nur scheinbare Wahlfreiheit durch kurze Fristsetzung
Auswirkungen von Schulden auf die private, berufliche und auch gesundheitliche
Situation von Betroffenen
Wahlrecht bezog sich nicht auf 77-Raten-Regelung
Unsere Forderungen
Wir fordern eine Nachbesserung der Bafögnovelle 2019 in folgenden Punkten:
Die verstrichene, sechsmonatige Frist der Bafögnovelle 2019 zum Wahlrecht über den Kooperationserlass/Härtefallerlass soll ersetzt werden durch eine angemessen verlängerte Frist, die eine informierte Entscheidungsfindung ermöglicht. Außerdem soll das Wahlrecht als Opt-Out-Regelung gestaltet werden, d.h. standardmäßig gelten die neuen, freundlicheren Regelungen, solange die Betroffenen nichts anderes beantragen.
Die 77-Raten-Regelung soll auf die "Altschuldner*innen" ausgeweitet werden. Für diese Gruppe von Betroffenen sah die Bafögnovelle nicht einmal ein Wahlrecht vor. Dabei belohnt die 77-Raten-Regelung die individuelle Rückzahlungs- und Kooperationsbereitschaft des Einzelnen - und nicht etwa hohe Verdienstchancen in bestimmten Branchen oder vermögende Verwandte.
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